Upgrading

Gerade als ich dachte, ich kann mich nun wieder etwas auf den Umzug konzentrieren, gab es noch einmal Aufregung und Verunsicherung um die Diagnose meiner Mutter. Vor zehn Tagen wurde sie operiert, alles ging gut. Während der OP wurde bei der „sentinal certification“ , der Überprüfung der Wächterlymphknoten, festgestellt dass diese nicht befallen sind – also kam die Entwarnung gleich schon am Tag der OP. Von Chemo war also keine Rede, auch nicht von Bestrahlung. Beim Abschlussgespräch mit dem Operateur hieß es plötzlich: in der Histologie der Lymphe wurde eine Mikrometastase gefunden, man empfehle eine Chemotherapie, eine Bestrahlung und danach eine Hormontherapie, das ganze Programm also. Bisher hatte meine Mutter während des ganzen Verlaufs trotz der vielen Auf und Abs die Diagnose und alles damit Verbundene gut gepackt. Doch das war zu viel – diese Nachricht war ein Schock und entsprechend ging es ihr. Leider fuhr sie alleine zu dem Nachgespräch, denn zuvor war ja bereits Entwarnung gegeben worden, sie war fit, fühlte sich gut. Sie rief unmittelbar nach dem Gespräch bei mir an und ich erkannte schon an der Stimme, das was nicht stimmt. Ich konnte sie ein klein wenig beruhigen, soweit das übers Telefon machbar ist.

Zum Thema „Mikrometastase“ sollte man wissen dass es sich dabei meist um eine sog. „disseminierte Tumorzelle“, DTZ genannt, handelt. Diese befinden sich in einem inaktiven Zustand, der G0-Phase des Zellzyklus und sind 0,2 bis 2 mm groß! Der Krebsinformationsdienst schreibt dazu: „So genannte Mikrometastasen, einzelne Zellen oder Zellverbünde von nicht mehr als zwei Millimetern Größe, lassen sich durch übliche Untersuchungen nicht nachweisen. Bildgebende Verfahren stoßen hier an ihre Grenzen. Krebsforscher hofften daher lange, mehr über die Prognose von Patienten über molekularbiologische Nachweise einzelner Zellen zu erfahren. Tatsächlich lassen sich verstreute Tumorzellen bei vielen Krebsarten inzwischen mit verschiedenen Verfahren nachweisen. Die Hoffnung, diese Tests in der Praxis zu nutzen, wurde zumindest bisher jedoch weitgehend enttäuscht. Nach bisherigem Kenntnisstand erlaubt der Nachweis einzelner Zellen nur bedingt Aussagen über die Prognose eines Betroffenen. Viele Untersuchungen belegen, dass einzelne Zellen nicht automatisch als Metastasierung angesehen werden können. Ihnen fehlt anscheinend oft die eigentliche Bösartigkeit, die sie befähigen würde, echte Tochtergeschwülste zu bilden. Auch verharren Tumorzellen häufig für längere Zeit oder sogar für immer in Ruhestellung. Gefährlicher wird es, wenn einige dieser ruhenden Tumorzellen beginnen, sich wieder zu teilen, eine Eigenschaft, die möglicherweise nur bei den sogenannten Tumorstammzellen vorhanden ist. Solange es nicht gelingt, die ruhenden sicher von den gefährlichen Zellen zu unterscheiden, haben Einzelzellnachweise keinen Stellenwert in der Krebsdiagnostik und Krebstherapie. Wesentliche Erkenntnisse erhoffen sich Wissenschaftler und Mediziner daher von der Forschung an Tumorstammzellen….“ Quelle: http://www.krebsinformationsdienst.de/grundlagen/metastasenbildung.php#inhalt3

Ein weiterer Aspekt: das Lymphsystem unseres Körpers ist ein wichtiger Bestandteil des körpereigenen Abwehrsystems (Immunsystem), sozusagen ein Drainagerohr-System des Gewebes. Die Lymphknoten übernehmen die Reinigungsfunktion der Lymphflüssigkeit und bilden entsprechende Abwehrzellen wenn z.B. Viren angeschwemmt werden oder sie zerlegen Zelltrümmer oder anderweitige Partikel. Das Auffinden von „Mikrometastasen“ in den Lymphknoten ist keine Seltenheit und übrigens mit ein Grund, weshalb Patienten nur bei dringendem Verdacht in eine PET-Untersuchung geschickt werden. Ich möchte gar nicht wissen, mit wie vielen Mikrometastasen ich schon durchs Leben gelaufen bin. Übrigens ist bis heute nicht erforscht, wann, ob und wie häufig aus einer DTZ eine Metastase wird – man vermutet 1- 2%,eben aus jenen oben erwähnten Tumorstammzellen.
Zurück zu meiner Mutter: eine Mikrometastase eines G1-Tumors ist kein Anlass für eine Chemotherapie! G1 bedeutet: gut differenziertes bösartiges Gewebe („low-grade“), hohe Übereinstimmung mit Ursprungsgewebe, und: geringe Teilungsaktivität! Die Chemo greift aber nur während der Zellteilung ins Geschehen ein. Also wann soll eine Chemotherapie wirken wenn die Zellteilung nur sehr gering ist? Somit wäre dies bei einem G1-Befund eine Übertherapie. Der Onkologe meiner Mutter – der nicht ihr Operateur ist – und der sie weiter behandelt, hat jedenfalls schnellstens den Nachbefund der Histologie angefordert. Plötzlich wurde aus einem G1-Tumor ein „G1 auf G2“. Bei einem G2-Tumor ließe sich eine Chemo natürlich vertreten! Sehr seltsam, denn auf Nachfragen wurde bestätigt, dass der Tumor selbst molekularbiologisch „low grade mit hoher Übereinstimmung und geringer Teilungsaktivität“ klassifiziert blieb. Ich möchte nicht der Pathologe sein, der das dem weiter behandelnden Onkologen dann erklären musste. Denn auch der war mehr als erstaunt über dieses „up-grading“.

Was also macht eine Frau mit derlei Botschaften, wenn sie weder eine relativ gut informierte Tochter noch einen erfahrenen, engagierten Onkologen wie Dr. S. im Rücken hat?- genau – sie unterschreibt alles, läßt alles mit sich machen! Für mich ein Paradebeispiel, dass die Ängste der Frauen definitiv instrumentalisiert werden! Jedenfalls konnte meine Mutter in dem Gespräch mit dem Arzt noch sagen, dass für sie eine Chemo nicht automatisch in Frage komme, sie das erst abklären müsse mit ihrem Onkologen und man das doch austesten kann ob der Tumor überhaupt darauf anspricht. Ihr wurde entgegnet, dass man diesen Test gar nicht erst machen läßt wenn sie so negativ gegen die Chemo eingestellt sei. Ihr wurde noch etwas zum Unterschreiben hingelegt, irgendeine Rückerstattung von 2000,- €, aber um was genau es sich dabei gehandelt hat wußte sie nicht mehr. Sie hatte einen black-out, hat das auch so gesagt, blieb dann aber sich selbst überlassen. Was lerne ich draus? Kein Arzt-Gesprächmehr alleine führen,immer zu zweit hin fahren, und sei es nur ein „Nachsorgegespräch“.

desktop„Tanz auf dem Vulkan“,Monotypie auf Seidenpapier, © Michaela Dreier