Leuchtturm sein

Die letzten Nächte bin ich abgetaucht in ein Buch, das mich gleichermaßen fasziniert, berührt und bewegt hat –  vorallem letzteres und gerade im Hinblick darauf, eine neue Sicht der Dinge zuzulassen. Die Rede ist von Davids Rieffs Buch „Tod einer Untröstlichen – Die letzten Tage von Susan Sontag“. Als Sohn hat er seine Mutter vom Tag der endgültigen Diagnose an,  als bei der Schriftstellerin MDS, eine besonders bösartige Form von Leukämie, festgestellt wurde, bis zu ihrem Tod acht Monate später begleitet. Zweimal schon hatte Susan Sontag den Krebs entgegen aller Prognosen überwunden ( 1977 metastasierenden Brustkrebs, 1998 Gebärmuttersarkom) –  mit unglaublicher Zähigkeit und Schmerzbereitschaft. „Ich sauge an tausend Strohhalmen“ schrieb sie in ihr Tagebuch – und dabei ist sowohl die Hoffnung gemeint als auch der Wille und die Lust am Leben. Für sie kam Sterben nicht in Frage, der Tod war unvorstellbar, und so entschied sie sich einmal mehr für den kämpferischen Weg was für sie bedeutete: die neuesten, härtesten Therapien nach allen Regeln der Schulmedizin anzuwenden. Freunde hatten das zu akzeptieren und sie darin zu unterstützen. Dem Sohn wies sie vorallem die Rolle des Hoffnungsgebers zu.

David Rieff tritt in diesen 160 Seiten nicht den Krankheitsverlauf  seiner Mutter breit und nur in Nebensätzen läßt er das Leid erahnen. Vielmehr setzt er sich mit der Rolle des betroffenen Angehörigen auseinander – sowohl rückblickend als auch während dieser Zeit. Er hadert mit dieser Rolle des „Komplizens der Illusion“ und stellt sich die Frage, ob nicht ein „Umlenken der Hoffnung“ hin zu einem bewußten Strebeprozeß und Abschied sinnvoller gewesen wäre. Er hadert mit dem leidvollen Weg seiner Mutter – warum kein schneller Herztod für eine Frau, die den Tod so sehr negiert und fürchtet und deren Anriebsmotor immer war „sich selbst zu übertreffen“? Aber er hadert nicht mit dem Bemühen der Ärzte dem Wunsch und Willen der Patientin nachzukommen und alles menschen- und medizinisch Mögliche für ein Überleben zu versuchen. Was mich wiederum zu einem bedingungslosen akzeptieren auch dieses Standpunktes veranlaßt: der Patient ist das Maß aller Dinge! Über seinen Weg, seine Entscheidungen zu urteilen und somit über die Dienstleistung der Ärzte wäre anmaßend!

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links im Bild David Rieff, lesend im Krankenhauszimmer, veröffentlicht in „A photographers live“ von Anne Leibovitz, der langjährigen Lebensgefährtin Susan Sontags

Zurück zum Buch. Es beginnt mit dem Satz „Kein Gedanke lag mir fernen. Ich glaubte am Ende einer langen Auslandsreise… zu sein“  beschreibt David Rieff , selbst Schriftsteller und vorallem unterwegs in Krisengebieten dieser Welt, eben jene Situation am Flughafen und jenes Telefonat mit seiner Mutter , mit dem ein ganz anderer Weg beginnen sollte….. Nach ihrem Tod liest der Sohn dann die Tagebücher der Mutter und erkennt einmal mehr, wie unglücklich sie oft  im Leben war, von Depressionen und Zweifeln gebeutelt. Eine weitere Welle an Schuldgefühlen droht heranzurollen der sich der Autor erneut stellt. Das Buch endet mit dem Satz, den seine Mutter ihm schon während ihrer ersten Krebserkrankung mit auf den Weg gegeben hat: „Im Tal des Jammers breite deine Flügel aus.“ David Rieff hat nun seine Worte wie Flügel ausgebreitet! Denn eines wird klar: alles darf sein in son einem Prozeß – das Hadern, der Kummer, der Zweifel ebenso wie die Illusion, die Hoffung, das Festhalten!

Für mich ist es  ein wichtiges Buch für alle Angehörigen und  Freunde, die sich nach dem Tod und leidvollen Sterben eines geliebten Menschen mit quälenden Fragen herumschlagen.  Und für all diejenigen, die einen Menschen auf diesem Weg begleiten – einschließlich sich selbst! “ Swimming in a sea of death“ – „Schwimmen in einem Meer des Todes“ – lautet der englische Originaltitel und er beschreibt für mich viel besser das Meer der Gefühle, dem besonders die Angehörigen eines Krebspatienten ausgesetzt sind, verbunden mit dem Wunsch und der Hoffnung nach Orientierung, nach einem Leuchtturm. Wolfgang Borcherts Gedicht fällt mir spontan dazu ein:

Ich möchte Leuchtturm sein

 in Nacht und Wind  –

 für Dorsch und Stint,

 für jedes Boot –

und bin doch selbst

ein Schiff in Not.


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